Glaubt man Zeitzeugen, machte Leonidas mit dem Ball Sachen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hatte. Wahre Wundertaten erzählte man sich über den "Schwarzen Diamanten", den "Gummimann". Mit sieben Treffern wurde der Brasilianer 1938 WM-Torschützenkönig. Da Trainer Pimente ihn im Halbfinale gegen Italien schonte, wurde Brasilien nicht Weltmeister.
"Entweder hat er den Teufel im Leib oder Augen in den Stiefelspitzen!" Nicht nur der tschechoslowakische Ausnahmekeeper Frantisek Planicka sprach in Ehrfurcht über den brasilianischen Stürmer Leonidas da Silva. Dem schrieb man in Europa nahezu übermenschliche Kräfte zu. Die Fußballfans in seiner Heimat vergötterten ihn sowieso - als "Schwarzen Diamanten" und als "Mann aus Gummi". Bis heute wird in Brasilien sehr lebhaft darüber diskutiert, ob Leonidas oder Pelé der bessere Fußballer gewesen ist.
Berühmt war Leonidas für seine technischen Kabinettstückchen wie etwa den "gols bicicletas", jenen Toren also, die er per Scherenschlag erzielte. Der schlangenhaften Beweglichkeit seines Körpers verdankte er den Spitznamen "Gummimann". Leonidas eilte der Ruf voraus, dass der Ball an seinem Fuß förmlich klebe und er grundsätzlich nur barfuß spiele. Und das war nur ein bisschen übertrieben. Denn tatsächlich entledigte er sich während eines heftigen Gewitters beim WM-Achtelfinale gegen Polen zeitweise seiner Strümpfe und Stiefel, bis der Schiedsrichter das unterband.
Was nichts daran zu ändern vermochte, dass ihm bei diesem denkwürdigen 6:5-Sieg als erstem Spieler vier Tore in einem WM-Match gelangen - was im selben Spiel auch noch der Pole Willimowski schaffte. Alles sah so aus, als könne niemand Leonidas und Brasilien auf dem Weg zum Titel stoppen. Bis Trainer Adhemir Pimente auf die Idee kam, den leicht angeschlagenen Stürmer im Halbfinale gegen die Italiener zu schonen. Brasilien verlor prompt 1:2, und statt im Finale traf Leonidas nur beim 4:2-Sieg über Schweden im Spiel um Platz drei.
25 Treffer in 24 Länderspielen lautet seine beeindruckende Bilanz. Mit 19 Jahren hatte er gegen gegen Uruguay sein Debüt in der "Seleçao" gegeben. Und wie! Die "Urus" führten bis zehn Minuten vor Ende 1:0. Dann Schlug Leonidas’ Stunde, und mit zwei Treffern kippte er das Spiel.
Aufgrund dieser Leistung verpflichtete ihn der uruguayische Club Penarol Montevideo. Doch lange hielt es den umtriebigen Leonidas nirgends. Es folgte eine Odyssee von den Boca Juniors in Argentinien über Vasco da Gama, Botafogo, Flamengo bis nach Sao Paulo, wo er mit 37 Jahren seine Karriere beendete.
Auch als Fernsehkommentator brachte es Leonidas zur Nummer eins in Brasilien. Seine Reportagen seien für seine Landsleute "eine Art Evangelium“ gewesen, heißt es. In diesem Punkt sind sich auch die Fans absolut einig: Als TV-Kommentator, das sei gar keine Frage, war Leonidas eindeutig besser als Pelé.
Frank Menke
Links: zeitgenössische Illustration von Leonidas.
Oben rechts: Der "schwarze Diamant" (rechts) in Aktion; darunter: Leonidas im Jahr 1988.